Habe gerade den aktuellen Juni/Juli-Literatur-Spiegel durchgeblättert und bin einigermaßen fassungslos. „Der Schriftsteller …“, „Der Italiener …“, Der Komiker …“
– es hört nicht auf mit den bestimmten Artikeln im Maskulin.
Die Spiegel-Redakteure scheinen zu glauben, dass nur Männer lesenswerte Bücher schreiben. Oder wie soll man es sonst erklären, dass sie den Autorinnen weniger als eine Seite eingeräumt
haben?
Auf Seite 12, ganz unten, endlich ein Buch von einer Frau: Laetitia Colombani. Und auf Seite 14, hurra, eine ganze halbe Seite über das Buch von Linn Ullmann. Warum Linn Ullmann? Weil sie ihrem
Vater, Ingmar Bergmann, damit ein Denkmal gesetzt hat.
In deutschen Städten ist die Luft schlechter als nach EU-Normen erlaubt. Die geschäftsführende Bundesregierung hat deshalb vorgeschlagen, in einigen Städten den
öffentlichen Nahverkehr kostenlos anzubieten.
Die Grüne in mir jubelt. Aber die Volkswirtin meint: Schwachsinn.
Für Sozialtickets war nie Geld da. Aber für SUV-Fahrer, die mit ihren Panzern die Luft verpesten, ist es plötzlich vorhanden. Ihnen bietet man die kostenlose Weiterfahrt mit Bus und Bahn, sollten
sie eines Tages ihr Auto stehen lassen müssen.
Ich wünsche mir Politiker, die genug Rückgrat haben, um sich der Autolobby in den Weg zu stellen.
Aber vermutlich würden sie einfach überrollt werden.
Habe nur wenig Zeit, deshalb enthält dieser Blogbeitrag zwar viele Infos aber keine eigene Geschichte. Der Erscheinungstermin für „Nordland“ ist um einen Monat vorgezogen worden. Mein Roman erscheint voraussichtlich in der Woche vom 28. Februar. Vorbestellungen sind möglich. Zum Beispiel direkt bei mir, dann gibt’s das Buch auch mit Widmung. Oder beim Verlag: www.acabus-verlag.de. Der schnellste Weg, mich dort zu finden, ist übrigens über den Reiter „Autoren“ – es hat Vorteile, wenn der Nachname mit A beginnt. Auch die Seiten der Autorenwelt (https://shop.autorenwelt.de) sind eine gute Adresse. Die Buchhändler sowieso. Bin ich die einzige, die sich gerade wie verrückt freut?
Hamburg, Schanzenviertel, November 2033
Er atmete zu laut. Sie würden ihn hören. Er drückte sich enger an die Wand des Schachts, spürte die kalten Sprossen der Leiter im Rücken. Über ihm warf der Vollmond sein Licht durch die Ritzen
des Kanaldeckels. Er hatte den Deckel zurück über die Öffnung gezogen, aber die pinkfarbenen Müllsäcke lagen wie Signallampen links und rechts davon und schrien: Hier versteckt er sich!
Hier!
So beginnt meine Kurzgeschichte, die jetzt in der Anthologie „Hamburg schreibt – Eine Nacht im November“ erschienen ist. Das Buch ist ein Selfpublishingprojekt der Hamburger Nanoaten.
Den Erlös spenden wir komplett an www.nanowrimo.org.
In diesem Sommer sind wir durch Kanada gereist. Die Menschen dort waren unglaublich freundlich, aufmerksam und hilfsbereit.
Ich glaube, diese entspannte Lebenseinstellung hängt unmittelbar damit zusammen, wie viel Platz ein Mensch hat.
In Kanada war der nächste Nachbar manchmal fünf Meilen entfernt. Wir standen nicht im Stau. Auf unseren Wanderungen waren wir froh, wenn wir anderen Menschen begegneten. Und nicht einem Grizzly.
Nur in Vancouver war das Leben für die Fahrradfahrer ähnlich gefährlich wie in Hamburg.
Vielleicht gelingt es mir, die Weite in meinem Kopf zu bewahren und hilfsbereit zu bleiben.
Egal, wie verbissen die anderen um ihren Platz kämpfen.
Auf diesen Brief habe ich hingearbeitet. Geschrieben, gelernt, verworfen, neu geschrieben, weiter gelernt, wieder verworfen, zum x-ten Mal neu geschrieben. Immer
und immer wieder.
Heute ist der Vertrag endlich angekommen. Der wunderbare acabus Verlag glaubt an meinen Roman.
Ich genieße das Gefühl, vielleicht doch etwas richtig gemacht zu haben. Nicht länger der letzte Honk zu sein, der von allen ignoriert wird: „Wenn wir uns nicht innerhalb der nächsten x Monate
melden, betrachten Sie das bitte als Absage.“
Es gab viele unausgesprochene Absagen.
Sie waren schlimmer als die ausgesprochenen.
Bei denen wusste ich wenigstens, dass ich nicht länger hoffen durfte.
Die Schanze brannte, während die Staatschefs in der Elbphilharmonie zu Abend aßen.
Drei Stunden lang machten vermummte Verbrecher das zentrale Viertel zum rechtsfreien Raum. Niemand kam den Bewohnern zu Hilfe.
Erst als alle Staatsgäste zurück in den Hotels waren, beendeten Sondereinsatzkommandos den Horror.
Es gab nicht genug SEKs, um alle gleichzeitig zu schützen. Niemand konnte ausschließen, dass die Gewaltexzesse in der Schanze ein Ablenkungsmanöver waren. Eine Falle, damit die SEKs vom
Großkopferten-Schutz abgezogen würden und die Bahn frei wäre für ein Attentat auf Merkel oder Macron.
Manchmal gibt es unlösbare Zielkonflikte. Politiker müssen trotzdem entscheiden.
Liebe Politiker: Steht dazu!
Schon Tage vor dem Gipfeltreffen stehen überall in der Stadt Streifenwagen mit gelangweilten Polizisten und passen auf, dass niemand die Straße klaut. Man fragt
sich, ob 20.000 Polizisten wirklich nötig sind.
Seit Freitagmorgen wissen wir: Es sind zu wenige. Und fangen an zu rechnen: 20.000, das sind 10.000 pro 12-Stunden-Schicht.
20 Staatschefs sollen ruhig in ihren Hotels schlafen (circa 1.000 Polizisten) und unbeschadet durch die Stadt kommen (500).
14 Eingänge zur Messe (500), unzählige Kreuzungen (3.000) und die Elbphilharmonie (1.000) werden gesichert = 6.000 Polizisten sind für den Objektschutz
gebunden.
Bleiben 4.000, die Hamburg vor 8.000 Extremisten schützen sollen.
Reicht nicht.
Unfair sei das Abkommen. Die Chinesen haben einen Deal zulasten der Amerikaner gemacht, meint Donald Trump. Da er der Kämpfer für mehr Gerechtigkeit ist, und
außerdem der Mann, der dem Kohlearbeiter eine glorreiche Zukunft versprochen hat, kündigt er dieses ungerechte Klimaschutzabkommen.
Er sei schließlich der Repräsentant von Pittsburgh, nicht der von Paris.
Bill Peduto, Bürgermeister von Pittsburgh, hat daraufhin verkündet, dass seine Stadt auf lokaler Ebene am Klimaziel festhalten werde. „Fakt: 80 Prozent der Wahlberechtigten in Pittsburgh haben
Hillary Clinton gewählt“, sagt Peduto.
Pittsburgh ist eine von aktuell 211 amerikanischen Großstädten, die sich ihrer zentralen Regierung widersetzen.
Go America, go!
Evet: 51 Prozent. Hayir: 49 Prozent.
Beobachter sprechen diplomatisch verklausuliert von möglichen Wahlmanipulationen. Erdogan zieht derweil im Triumphzug in seinen Präsidentenpalast ein.
Hat die Mehrheit der Türken für eine Diktatur gestimmt? Oder hat Erdogan eine gefälschte Mehrheit an sich gerissen? Da das Land am Bosporus kein Rechtsstaat mehr ist, wird diese Frage wohl erst
von Historikern beantwortet werden.
Erdogan hat mit den Mitteln der Demokratie diese abgeschafft. Geschichte wiederholt sich in Variationen.
„Es fühlt sich an, wie Lebewohl zur türkischen Republik zu sagen“, so eine Wählerin zum NDR.
Ich fürchte, es ist mehr. Es ist der Beginn eines gescheiterten Staates.
In der Türkei sitzt der Welt-Korrespondent Deniz Yücel in U-Haft.
In Deutschland werden Wahlkampfveranstaltungen türkischer Regierungsmitglieder abgesagt.
Begeben wir uns auf dieselbe Stufe wie die Türkei, wenn wir den Wahlkämpfern das von unserer Verfassung garantierte Versammlungsrecht verwehren?
Carlo Schmid, Vater unseres Grundgesetzes, meinte, Demokratie muss sich wehren:
„Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt bloßer Zweckmäßigkeitserwägungen, wo man den Glauben hat, dass sie für die Würde des Menschen unverzichtbar ist. Wenn man den Mut zu diesem Glauben
hat, muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie selbst umzubringen.“
Das syrische Regime ermordet seine politischen Gefangenen. Von 13.000 Toten ist die Rede.
Vor 25 Jahren wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Deutschland profitiert vom Euro, für viele südeuropäische Länder ist er zu stark. Die Idee „Europa“ droht zu zerbrechen.
Die Bundeswehr übernimmt ein multinationales Bataillon der Nato in Litauen. Signal an Putin: Wir lassen Litauen nicht allein.
Trump behauptet, die Journalisten berichten absichtlich nicht über Terroranschläge. Viele erinnern daraufhin ausführlich an Paris, Nizza, Berlin. Trump hat sein Ziel erreicht: Angst.
Im Westjordanland haben jüdische Siedler auf privatem, palästinensischem Land Häuser gebaut. Die Knesset legalisiert den Landraub.
Quo vadis, humanitas?
Jetzt ist Donald Trump also wirklich und wahrhaftig Präsident der USA. Und alles, was wir an Befürchtungen hatten, scheint einzutreffen: Nationalismus.
Isolationismus. Protektionismus.
America First. Der Rest der Welt kann sehen, wo er bleibt. Überall dort, wo Amerika sonst regulierend eingegriffen hat, wo es den Schwächeren zur Seite stand, auf
diplomatischem Weg Schlimmeres verhindert und die Handelnden in Gespräche gedrängt hat, überall dort wird dem rücksichtslosen Auftreten der Starken der Terror der Unterdrückten
folgen.
Die schmalen, gewundenen Wege hin zu Frieden und mehr Gerechtigkeit werden von den Fußstapfen eines Dinosauriers unkenntlich gemacht.
Kann mich bitte jemand aus diesem Albtraum wecken?
Der Täter war den Sicherheitsbehörden bekannt.
Die Menschen sind empört. Innenminister de Maizière macht auf harten Hund und fordert eine echte Bundespolizei. Die föderalen Strukturen seien schuld.
So ein Quatsch. Bei aller Wut und Trauer um die Toten und Verletzten aus Berlin: Mich hat die Nachricht beruhigt, dass die Behörden Anis Amri auf dem Radar hatten. Der Attentäter kam nicht aus
dem Nichts. Unsere Sicherheitsbehörden funktionieren, auch wenn sie hier einen furchtbaren Fehler gemacht haben.
Denn was ist die Alternative? Mehr Überwachung? Mehr Polizeistaat?
Benjamin Franklin sagte: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beide verlieren.“
Auf der einen Seite unserer Welt glitzert die westliche Moderne: reich, aufgeklärt, tolerant.
Auf der anderen hungern 800 Millionen Menschen, und noch viel mehr leben unter Bedingungen, die sich kein Aufgeklärter vorstellen mag.
Früher haben nur Entwicklungshelfer die Armut der Welt gesehen – und die Armen nur die Entwicklungshelfer.
Heute gibt es überall Handys.
Der IS-Terror hat seine Wurzeln nicht in der Religion. Terror wurzelt in der Ungerechtigkeit und Chancenlosigkeit.
Bitte nicht falsch verstehen: Es gibt KEINE Entschuldigung für die barbarischen Terroranschläge. Aber wie wir auf diese Anschläge reagieren, wird entscheiden, in welcher Welt wir künftig
leben.
Steinzeit oder Moderne.
Aus einem Brief, herausgeschmuggelt aus einem Gefängnis in Istanbul:
„Hinter Steinen, Beton und Stacheldraht rufe ich zu euch – wie aus einem Brunnenschacht. Hier, in meinem Land, lässt man mit einer unvorstellbaren Rohheit das
Gewissen verkommen. Dabei wird wie blind versucht, die Wahrheit zu töten. Auch wenn ich nicht weiß, wie, aber die Literatur hat es immer geschafft, Diktatoren zu überwinden. Die Literatur, die
wir mit unserem eigenen Blut schreiben, denn diese ist für mich die Wahrheit.“
Asli Erdogan, türkische Autorin, seit dem 16. August 2016 in Haft.
Asli Erdogan ist eine von 130 inhaftierten Autoren und Journalisten in der Türkei.
Es ist November - Zeit für den National Novel Writing Month. Alles andere muss warten. Auch die restlichen 81 Wörter.
Heute ist Reformationstag. Ich weiß, Halloween ist viel präsenter. Macht ja auch Spaß und bringt mehr Süßigkeiten. Trotzdem:
Heute ist Reformationstag.
Heute vor 499 Jahren hat Martin Luther seine 95 Thesen an die Kirchentür in Wittenberg genagelt. Er hat bestritten, dass der Mensch durch Ablasszahlungen Erlösung findet und damit für die
damalige Zeit Ungeheuerliches gewagt: Er hat der Kirche widersprochen.
Für mich ist Luther der Wegbereiter der Moderne. Er hat eigenständiges, von Kirchendogmen freies Denken erst möglich gemacht. Er stand am Anfang der Aufklärung und der Emanzipation der
Menschen.
Schade, dass dieser Tag nur alle 500 Jahre ein Feiertag ist.
In Hamburg hat eine Gruppe junger Männer eine 14jährige vergewaltigt, gefoltert und danach weggeworfen, bei Minusgraden.
Ein Täter muss für vier Jahre ins Gefängnis. Die anderen kommen mit Bewährungsstrafen davon. Der Richter hat aufrichtige Reue erkannt und deshalb den Erziehungsaspekt in den Vordergrund
gestellt.
Die Angehörigen der Vergewaltiger jubeln. Ihnen haben die Anwälte nicht eingebläut, dass sie die Köpfe senken müssen.
Vielleicht bereuen die Täter. Das kann ich nicht beurteilen. Wohl aber das Signal, das vom Urteil ausgeht:
Benutzt Mädchen, wie es Euch gefällt. Falls ihr erwischt werdet, sagt einfach, tut mir leid. Dann ist alles wieder gut.
Für Euch.
Beim Joggen kommt mir ein Rottweiler entgegen. Die Manifestation eines Kampfhundes: massig, großer Schädel, Halsband mit silbernen Stacheln.
Freilaufend.
Es ist viel los an der Alster. Ein älterer Herr sagt mit leicht brechender Stimme zu dem Mann, der eine Leine über der Schulter hängen hat: „Passen Sie bitte besser auf Ihren Hund auf. Der hätte
eben fast ein Kind totgebissen.“
Antwort des Hundebesitzers: „Ach. Echt?“
Nachmittags im Café. Ein Gast beschwert sich, sein Kuchen kommt nicht und inzwischen ist alles ausverkauft. Der Chef fragt den Kellner: „Hast du die Bestellung vergessen?“
Antwort des Kellners: „Kann sein.“
Willkommen in Egal-Land.
Seit drei Jahren gibt es die AfD. Am Wochenende ist sie ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Fünf-Prozent-Hürde? Kein
Problem.
Und dann?
Im Idealfall entzaubert sie sich. Streitet sich, bricht auseinander, kümmert sich um Posten und Pöstchen, bis auch der letzte Wähler kapiert hat, dass die Personen, die er gewählt hat, nur sich
selbst vertreten.
Oder, und davor habe ich Angst, sie enthemmt die Menschen weiter und macht rechts-autoritäres Gedankengut salonfähig. Kann sie Deutschland spalten, so wie Israel, die USA oder Großbritannien
gespalten sind?
Noch fehlt ihr dazu der populistische Menschenfänger an der Spitze. Noch.
Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin Hamburgs, jung, grün und mit einer Mega-Ausstrahlung, ist beim Tanzen begrapscht worden. Sie hat Anzeige erstattet. Sie
hat die Tat nicht auf sich beruhen lassen, hat die Schuld nicht bei sich gesucht, hat nicht überlegt, ob sie das mit dem Tanzen in Zukunft besser sein lassen sollte.
Der Dank dafür: Übellaunige Menschen beschimpfen sie anonym im Netz, lästern über ihr Aussehen, sondern sexistische Sprüche ab.
Falls noch jemand glaubt, Männer und Frauen seien im wahren Leben gleichberechtigt, der möge sich diese Situation bitte einmal mit Olaf Scholz in der Rolle des Tänzers vorstellen.
Unvorstellbar?
Genau.
Urlaub ist wunderbar. Die Zeit außerhalb des Trotts füllt sich von ganz allein mit Schlaf und Sonne. Die Tage fließen und graben ein Flussbett der Erinnerungen ins
Langzeitgedächtnis, konturlos, ohne Ecken und Kanten, ohne Sorgen und Probleme.
Urlaub ist furchtbar. Die Zeit verrinnt und jeder freie Tag erhöht die Barriere, endlich wieder mit dem Schreiben anzufangen. Die Ausreden sind unendlich. Nach kurzer Zeit gesellt sich der
nimmermüde Zweifel dazu und ich lese die Stellenanzeigen im Internet.
Bis sich irgendwann - zwischen Wäschewaschen und Tagebuchschreiben - ein Satz in meinem Kopf formt und eine Idee hervorzaubert. Ich schreibe. Ganz kurz nur: 100 Wörter.
Rom im Sommer 2016. Die Innenstadt ist schwarz vor Touristen. Carabinieri bewachen die gesperrte Spanische Treppe. Am Parlamentsgebäude patrouillieren Alpini,
italienische Gebirgsjäger. Vor dem französischen Kulturinstitut verhindern zwei Uniformierte Anschläge und verbieten einem kleinen blonden Jungen, am Brunnen vor dem Haus zu spielen. Die Männer
umklammern ihre Maschinengewehre, als hätte der Junge Sprengstoff unter seinem Shirt und einen Zünder an den nackten Füßen.
Und während Papst Franziskus aus seinen Privatgemächern heraus die Gläubigen auf dem Petersplatz segnet, stehen durchtrainierte Männer in Anzügen auf dem Dach des Apostolischen Palastes.
Jeder ist verdächtig.
Niemand ist sicher.
Nichts ist heilig im Sommer 2016.
Es begann mit dem Angriff auf das Parlamentsgebäude.
Der demokratisch gewählte Präsident des Landes nutzte die Gelegenheit. Sein Volk fühlte sich schon lange ungerecht von der Welt behandelt, es ließ sich mitreißen
auf dem Weg zu mehr Bedeutung. Die Demokratie? Hatte nicht funktioniert, konnte entsorgt werden.
Niemand protestierte, als der demokratisch gewählte Anführer die Andersdenkenden aus dem Staatsdienst entfernte. Als er Zeitungen und Rundfunksender verbot, die
Meinungshoheit an Schulen und Hochschulen übernahm, eine religiöse Gruppe zum Sündenbock machte, Denunziantentum belohnte. Niemand wusste, wer als nächster Job, Wohnung, Leben
verlor.
Die Massen jubelten.
Die Welt ließ den Führer in Ruhe.
Appeasement.
Liberté, Egalité, Fraternité - diese Werte sind untrennbar mit der französischen Revolution verbunden. Sie bilden die Grundlage unseres modernen Staates, sie sind
die Grundlage unserer Demokratie.
Was ging in dem Mann vor, der so symbolträchtig am Nationalfeiertag der Franzosen mehr als 80 Menschen ermordete? Wollte er statt Freiheit Sklaverei, statt Gleichheit einen Sonnenkönig, statt
Brüderlichkeit Krieg?
Das wären mögliche Alternativen zu unserem derzeitigen System. Jahrhundertelang haben unsere Vorfahren damit gelebt. Ein Menschenleben? Zählte nichts. 80 Menschenleben? Egal.
Bis sich die Demokratie durchgesetzt hat. Und mit ihr der Rechtsstaat und die Achtung der Menschenwürde.
Niemand kann die vordemokratischen Systeme zurück wollen.
Oder?
Das hier wird ein männerfeindlicher Post. Ich werde vielen Männern Unrecht tun. Aber nicht allen. Denn ich kenne diese Farages und Johnsons, sie tummeln sich auch
in meinem Umfeld. Ihr Ego reicht bis zum Jupiter, aber sobald es schwierig wird, sind sie weg.
Farage und Johnson hinterlassen einen Scherbenhaufen. Einem Kind würde man sagen: „Erst aufräumen, dann darfst du spielen.“ Farage und Johnson interessiert das nicht. War das Ganze für sie nur
ein Sport? Eine Wette? Ein Kräftemessen? Ein Längenmessen?
Eine Frau wird kitten, was der Testosteronüberschuss zerbrochen hat.
Es gibt keinen ernsthaften männlichen Bewerber für den Job des Premiers.
„This referendum is actually quite simple“, sagte Nigel Farage, Vorsitzender der rechtspopulistischen UKIP, „this referendum is the people versus the
establishment.“
Wir Menschen mögen es einfach. Denken ist anstrengend, darauf setzen Populisten wie Farage. „Make Britain Great Again“ klingt ja auch besser als „der Binnenmarkt
ist wichtig für uns“.
Aber unsere Welt ist komplex.
51,9 Prozent der Engländer glauben, dass es ihnen besser gehen wird, wenn sie die EU verlassen. Wenn sie eines Tages arbeitslos oder mit einer Minirente in einer
heruntergekommenen Wohnung sitzen, werden sie sich nicht an den Tag des Brexit erinnern.
Sondern weiter auf das Establishment schimpfen.
Manchmal übernehme ich ein Ehrenamt.
Obwohl ich weiß, was das bedeutet.
Gerade wieder versuchen die Hauptamtlichen, also Menschen, die für ihre Tätigkeit bezahlt werden, ihre Aufgaben auf das Ehrenamt abzuwälzen. „Macht doch keine
Arbeit, wenn Sie das schnell mitmachen“ sagen sie. Genau. Außer der Viertelstunde hier, den zehn Minuten da, der halben Stunde dort drüben.
In unserer Gesellschaft sind Menschen, die ein Ehrenamt übernehmen, die Deppen. Sie sind zu blöd, Geld für ihre Tätigkeit zu fordern. Die Ehrenamtlichen sind die,
die sonst nichts zu tun haben. In der Rangfolge der arbeitenden Gesellschaft stehen sie ganz hinten.
Noch hinter uns Freiberuflern.
Bis zum Jahr 2025 sollen 45 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien kommen.
Was vor zehn Jahren für Jubel gesorgt hätte, ist heute ein bewusstes Abwürgen der einzig sinnvollen Energieversorgung. Die 45 Prozent DÜRFEN NICHT überschritten werden. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) begründet das mit ansonsten nicht kalkulierbaren Kostensteigerungen.
Meine Stromrechnung steigt kontinuierlich. Mal liegt es am hohen Ölpreis, dann am Ausbau der Erneuerbaren Energie; aktuell auch an den fehlkalkulierte Kohlekraftwerken — aber das sagt niemand. Ein Energiekonzern wird immer alle Kosten auf die Kunden umlegen.
Weiß jemand schon, wieviel die Lagerung des Atommülls und die neuen Versicherungen gegen Sturmschäden kosten werden?
Vor der Tür liegt ein Papierschnipsel, wie aus einem Glückskeks. Sie hebt ihn auf. „It matters how this ends.“ Wie passend. Gerade feilt sie am Ende ihres Romans.
Jemand schickt ihr geheime Botschaften, wie schön! Sie steigt aufs Fahrrad, fünf Kilometer Strecke, um über das Ende nachzudenken.
Sie hört die LKW hinter sich näher kommen. Nur eine schmale Bürgersteigkante trennt den Radweg von der Fahrbahn. Ein kleiner Junge vor ihr hält sich mit Mühe auf
seinem viel zu großen Fahrrad. Als sie ihn überholt, berühren sich die Räder. Er fällt aufs Gras. Sie nicht.
Der Papierschnipsel weht über die Straße.
Es wird Sommer. Und die CDU in Hamburg ist von den Radfahrern auf der Straße genervt.
Vielleicht haben die Abgeordneten gerade einen Sonntagsausflug mit der Familie gemacht und bemerkt, wie gefährlich Radfahren in Hamburg sein kann. Vielleicht kamen
sie trotz schneller Autos nicht schnell genug voran, weil auf der Fahrradstraße an der Alster Radfahrer im Weg waren.
Jedenfalls fordern sie: Fahrräder zurück auf eigene Wege! Sie sagen, ein straßenferner Radweg koste genauso viel, wie ein Fahrradstreifen auf der
Fahrbahn.
Außerdem könne man flächendeckend Haltegriffe an den Ampeln befestigen, um den Wartekomfort der Radfahrer zu erhöhen.
Genau die haben bisher gefehlt.
Die Sonne scheint, der Winter ist vorbei und ich schreibe im Park. Ein Mann schreitet den Weg entlang. Groß ist er, und schlank. Er betrachtet das Beet hinter dem Papierkorb. Sein Sakko sitzt perfekt, die Hände verschränkt er hinter dem Rücken. Ich vertiefe mich in meinen Text.
Ein Klappern erschreckt mich. Der Mann zieht eine Tüte aus dem Mülleimer, wirft einen Blick hinein, legt sie zurück, klappt den Deckel zu und bleibt vor dem
Abfalleimer stehen, aufrecht, die Hände verschränkt, die Schultern zurückgezogen.
Auf dem Nachhauseweg sehe ich ihn wieder: Er schläft. Um ihn herum liegen Habseligkeiten in abgeschrammten Plastiktüten.
Ted Cruz, der letzte republikanische Gegenkandidat, hat zurückgezogen, und Donald Trump wird vermutlich als Präsidentschaftskandidat nominiert werden. Altgediente
Republikaner sind entsetzt: Trump wird nie die Mehrheit bekommen, glauben sie. Hillary Clinton hat den Präsidentenjob sicher.
Sicher? Warum haben sich so viele Delegierte von Trump einfangen lassen, wenn er ein unfähiger, polarisierender Trampel ist? Je mehr man über ihn liest, umso
bedrohlicher wird das Szenario. Trump hat Ausstrahlung, verkörpert den amerikanischen Traum. Er ist ein Menschenfänger.
Wenn Demagogen nicht mehr als solche erkannt werden, hat es die Vernunft schwer.
Bitte, bitte, liebe US-Zivilgesellschaft: Lasst diesen Mann nicht die Welt regieren.
Die Bundesregierung belohnt die Käufer von Elektroautos mit 4.000 Euro. Um den Vorwurf zu entkräften, dass die Prämie nur den Reichen nutzt, darf das Fahrzeug nicht mehr als 60.000 Euro kosten.
Ein Tesla kostet um die 90.000 Euro. In Norwegen fahren schon ziemlich viele von ihnen. Auch, weil sie steuerlich gefördert werden. Aber vor allem, weil die
Amerikaner die Probleme mit Reichweite und schnellem Tanken bisher am besten lösen. Ein Tesla ist ein Computer mit Blech drumherum, es ist ein zukunftsweisende Auto.
VW-Manager kümmern sich auch um die Zukunft und verschieben 30 Prozent ihrer Bonuszahlungen ins Jahr 2019.
Die Deutsche Bahn sperrt wegen notwendiger Sanierungsarbeiten für zwei Wochen die ICE-Strecke Hannover-Kassel. Die Züge werden umgeleitet, statt 55 Minuten benötigt der ICE für die Verbindung aktuell eine Stunde und 55 Minuten . Die Bahn bittet um Verständnis.
Der Aufschrei ist groß und sehr empört: Die Bahn stiehlt mir meine Zeit! Wie können die? Ausgerechnet zur Hannover-Messe. Und Obama kommt auch. Die Deutsche Bahn
wieder!
Währenddessen auf der A7, kurz vor dem Elbtunnel. Neun Kilometer Stau. „Planen Sie eine Stunde mehr ein“, sagt der Verkehrsfunker. Der ganz normale Pendlerwahnsinn
an einem ganz normalen Werktag.
Niemand empört sich.